Mein Jakobsweg

Grañon, den 11.4.2005 (noch 555 km)

Die ganze Nacht hat es geregnet wie Gall, wir befürchteten das Schlimmste. Und das passierte uns nach dieser tollen Pilgerherberge in Azofra! Es hat sich dann doch weitgehend gehalten.

Der Tag begann mit einem langen Aufstieg und Wiederabstieg nach Santo Domingo de la Calzada. Es ist benannt nach einem Einsiedler, der im elften Jahrhundert selber Hand angelegt hat, um den Pilgern den Weg zu erleichtern. Er rodete Wald, pflasterte die Straße, baute eine Brücke in dem nach ihm benannten Ort.

Mein rechtes Knie machte mir auf den letzten Kilometern enorm zu schaffen. Im Schneckentempo kroch ich in den Ort. Kurz vor eins konnte ich gerade noch Voltaren und eine elastische Binde erstehen. Eine Pause unter Arkaden gegenüber der Kathedrale überbrückte einen Regenguss.

Santo Domingo ist einer der Orte, denen das Hühnerwunder zugeschrieben wird. Einem unschuldig Gehenkten soll der heilige Jakob beigestanden haben. Aber der Richter wollte das nicht glauben und hielt ihn für so mausetot wie das Huhn auf seinem Teller. In diesem Augenblick flog es davon. Das aus diesem Anlass heute noch in der Kathedrale gehaltene Hühnerpaar war aber nicht zu Hause, die Kirche wurde gerade renoviert.

Wir trafen eine Deutsche, die, mit ihrem Fahrrad aus Holland kommend, durch Belgien, Frankreich, Spanien nach Santiago radeln wollte und anschließend auch den ganzen Weg wieder zurück. Sie hatte einen Blumenstrauß an den Lenker gebunden und versuchte, sich durch den Verzehr von Schokolade vor zuviel Gewichtsverlust zu bewahren. Sie war nämlich so schon nur eine halbe Portion.

Am Nachmittag erreichten wir Grañon, mit uns Heidrun und Uli. Die Pilgerherberge war ein Matratzenlager im Turm der Ortskirche. Die Matratzen waren drei Zentimeter dicke Isomatten. Wir versuchten, wenigstens zwei zu ergattern, aber als sich im Laufe des Nachmittags die Herberge füllte, wurde uns allen nach und nach die zweite wieder entzogen.

Granon

Grañon ist eine besondere Erfahrung. Am späten Nachmittag gab es eine Pilgermesse in einer Seitenkapelle. Die kleine Kapelle war brechend voll. Neben den etwa vierzig Pilgern war auch eine größere Zahl Ortseinwohner erschienen. Der Geistliche, der die Messe zelebrierte, hielt eine längere Predigt, von der wir naturgemäß nichts verstanden. Während der Wandlung ertönten plötzlich Geigenklänge. Ein junger Pilger aus Argentinien hatte ein dreieckiges Streichbrett mit auf seinen Pilgerweg genommen und lieferte damit die musikalische Umrahmung. Sehr bewegend!

Es kam der Moment, einander die Hände zu reichen. In der Reihe vor uns hatte ein Dutzend Frauen aus dem Dorf Platz genommen. Sie ließen es sich nicht nehmen, jedem einzelnen von uns die Hand zu geben und uns einen guten Weg zu wünschen. Wie wir überhaupt von Seiten der Bevölkerung sehr viel freundliche Zuwendung erfahren haben. Der Wunsch „buen camino”, den wir uns gegenseitig zurufen, wurde uns auch von vielen Einheimischen entgegengebracht. Offenbar haben Pilger auch heute noch bei den Bewohnern einen Stein im Brett.

Am Ende der Zeremonie ging der Priester vom Spanischen zum Englischen über und fasste seine Predigt für uns zusammen. Er ermahnte, über der sportlichen Herausforderung des Marschierens und den Genuss der kulturellen Reichtümer am Wege den ursprünglichen Sinn des Pilgerns nicht aus den Augen zu verlieren, etwas zu vollbringen für den, der über uns steht.

Dann fragte er nach der Herkunft der Pilger. Wer kommt aus England? Drei Meldungen. Wer aus Frankreich? Fünf. Aus Deutschland? Zwölf Hände heben sich. Nach einigen weiteren Fragen ein Zwischenruf: Und zwei aus den Niederlanden. Das war Jaap. Von Jaap und Marijke wird noch zu berichten sein.

Nach dem Gottesdienst gab es gemeinsames Essen an langer Tafel. Hier saßen wir mit Jean aus St. Gallen zusammen, einem Drucker und Werbefachmann, aber bald war Zapfenstreich.

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