Mathem. Plaudereien

Iterationen

(Rückbezüglichkeit 2)

„Ein Hund lief in die Küche und stahl dem Koch ein Ei.
Da nahm der Koch den Löffel und schlug den Hund zu Brei.
Da kamen viele Hunde und gruben ihm ein Grab
Und setzten ihm ein'n Grabstein, auf dem geschrieben stand:
‚Ein Hund lief in die Küche …’ ”

Iterationen sind zwar auch irgendwie rückbezüglich, aber auf eine sanfte, unproblematische Weise. Man schreitet voran, indem man einen ungenauen Wert hernimmt und damit einen besseren bestimmt usw. Auf jeder Stufe wiederholen sich dieselben Arbeitsschritte. Wie eine Mauer laufend höher wird, wenn man immer wieder neue Steine auf dieselbe Weise auflegt, so wird hier das Ergebnis immer genauer - manchmal, manchmal aber auch nicht. Dann geht es eben auf diese Art nicht.


Wurzelziehen (Heron)

Gesucht ist ein Quadrat mit der Fläche 7 (cm2 o. ä.), oder was dasselbe ist, die Zahl 7 soll als ein Produkt zweier gleich großer Faktoren dargestellt werden. Wir begnügen uns vorläufig mit zwei Faktoren, die alles andere als gleich groß sind, sagen wir 7 und 1. Nun müssen wir sie nur noch schrittweise immer ein wenig gleicher machen.

Heron-Verfahren

Offenbar ist 7 reichlich groß und 1 reichlich klein. Die gesuchte Wurzel muss irgendwo dazwischen liegen. Der Einfachheit halber versuchen wir es mit dem arithmetischen Mittel von 7 und 1, nämlich 4. Jetzt brauchen wir noch den anderen Faktor. Da die Fläche, das Produkt, immer wieder 7 ergeben soll, brauchen wir nur 7 durch 4 zu teilen, das ergibt 1,75.

Die beiden neuen Faktoren 4 und 1,75 sind immer noch nicht gleich groß, aber immerhin etwas weniger unterschiedlich als 7 und 1. Also dasselbe noch einmal, und zwar mit den beiden neugefundenen Werten. Wiederholt man diesen Vorgang immer wieder, rücken die beiden Faktoren immer näher zusammen, bis sie schließlich für unser Bedürfnis genau genug sind. Wer weitergehende Ansprüche stellt, muss halt noch ein bisschen weiter rechnen. Nach einigen Schritten erhalten wir diese Tabelle:

Heron-Verfahren
1. Faktor 2. Faktor
7 1
4 1.75
2,875 2,43478260869565217391
2,65489130434782608695 2,63664278403275332650
2,64576704419028970673 2,64573557803244893421
2,64575131111136932047 2,64575131101781186052
2,64575131106459059050 2,64575131106459059050

Es ist schon beeindruckend, wie die beiden Faktoren einander immer näher kommen. Zur Verdeutlichung sind die jeweils übereinstimmenden Stellen hervorgehoben. Nach sechs Iterationsschritten zeigt mein Taschenrechner schon keinen Unterschied mehr. Dieses hervorragende und berühmte Verfahren war bereits in der Antike bekannt. Es geht auf den griechischen Mathematiker HERON zurück, der im 1. Jahrhundert n. Chr. in Alexandria lebte.


Goldener Schnitt

Ein Rechteck ist zu konstruieren mit dem Seitenverhältnis des „goldenen Schnitts”. Die kürzere Seite sei 1. Wie lang muss die längere Seite werden?

Goldener Schnitt 1

Tragen wir die Strecken hintereinander ab, so erhalten wir eine geteilte Gesamtstrecke der Länge x+1.

Goldener Schnitt 2

Der goldene Schnitt verlangt, dass sich die kürzere Teilstrecke 1 zur längeren x verhält wie die längere x zur Gesamtstrecke x+1. Als Gleichung:

1 =   x   ;
x x + 1
oder umgeformt:
x2 = x + 1 .

Das läuft also darauf hinaus, eine Zahl x zu finden, deren Quadrat um 1 größer ist als die Zahl selber. Teilen wir die Gleichung durch x, so erhalten wir

x = 1 + 1 .
x

Wir können diese Beziehung so lesen, dass wir auf der rechten Seite ein altes x einsetzen und dadurch auf der linken Seite ein neues x bekommen. Fangen wir versuchsweise mit dem Wert 1 für x an, so erhalten wir der Reihe nach

Goldener Schnitt
als Formel als Bruch als Wert
x
1
1
1 + 1
x
1 + 1 = 2
1 1
2
1 +   1  
1 + 1
    x
1 + 1 = 3
2 2
1.50000
1 +     1    
1 +   1  
    1 + 1
        x
1 + 2 = 5
3 3
1.66667
1 +       1      
1 +     1    
    1 +   1  
        1 + 1
            x
1 + 3 = 8
5 5
1.60000
. . .
1 + 5 = 13
8  8
1.62500
 
1 + 8 = 21
13 13
1.61538
 
1 + 13 = 34
21 21
1.61905
 
1 + 21 = 55
34 34
1.61765
 
1 + 34 = 89
55 55
1.61818
 
1 + 55 = 144
89  89
1.61798
 
1 +  89 = 233
144 144
1.61806
 
1 + 144 = 377
233 233
1.61803

Die linke Spalte zeigt: die Iteration entwickelt sich in Form eines Kettenbruchs. Die Brüche in der mittleren Spalte haben als Zähler und Nenner der Reihe nach die Fibonacci-Zahlen 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, … (die selber iterativ erzeugt werden durch Addition der beiden jeweils vorangehenden Zahlen). Die rechte Spalte zeigt zwar eine langsamere Konvergenz als das Heron-Verfahren, aber immerhin schwanken die Ergebnisse mit der Zeit immer weniger.

Die obige Gleichung

x2 = x + 1
ist eine einfache quadratische Gleichung und lässt sich auch ohne den Aufwand einer Iteration lösen; mit der sogenannten p-q-Formel ist das ein Kinderspiel. Die beiden Lösungen sind
1 + 1 √5 1,61803 .
2 2
und
1 1 √5 0,61803 .
2 2

Logistisches Wachstum

Wir wollen das Wachstum einer Bakterienkultur in einer PETRIschale oder das das Wachstum einer Hasenpopulation auf einer abgelegenen Insel, ganz allgemein das Wachstum bei begrenztem Lebensraum, mathematisch modellieren. Das Handwerkszeug dazu ist seit VERHULST vertraut: Wir betrachten die Entwicklung in gleichen Zeitabschnitten und stellen uns vor, die Masse am Ende eines solchen Zeitabschnitts, einer Stunde, eines Tages, eines Jahres, hänge von zwei Dingen ab, von der vorhandenen Masse am Beginn dieses Zeitabschnitts und vom noch verfügbaren freien Raum.

Nehmen wir für die gesamte Kapazität den Zahlenwert 1 ( das Ganze, der Maximalwert), und nehmen wir zusätzlich der Einfachheit halber an, der neue Wert sei zu den beiden Ausgangsgrößen - der vorhandenen Masse und dem freien Raum - proportional, so erhalten wir die Iterationsformel

Wertneu = k · Wertalt · (1 − Wertalt).

Was wir dann im konkreten Einzelfall noch bräuchten, wären ein Startwert und der Wachstumsfaktor k. Das sehen wir uns mal etwas genauer an. Für den Startwert 0,02 und den Faktor k = 1,60 erhalten wir diese Entwicklung:

Logistisches Wachstum
Zeiteinh.Menge
00,02
10,03
20,05
30,07
40,11
50,16
60,21
70,27
80,31
90,34
100,36

In der Grafik erhalten wir den typischen Verlauf für das logistische Wachstum, die S-förmige Kurvengestalt zeigt uns genau das, was wir erwartet haben: zuerst einen zunehmenden Anstieg, wie wir ihn vom exponentiellen Wachstum kennen, dann aber ein allmähliches Abflachen und das Sich-Annähern an einen Grenzwert. Dieser liegt in diesem Falle in der Nähe von 0,4, der theoretische Maximalwert 1 wird also bei weitem nicht erreicht.

Allerdings ergeben andere Eingabewerte ganz andere Verläufe, wie man beim Weiterblättern in der Grafik bemerkt.

Logistische Kurven

Zuerst wird nur der Startwert variiert. Das bringt nicht viel. Nach anfänglichem Herumsuchen läuft es doch immer auf denselben Endwert hinaus. Anders die Variation des Wachstumsfaktors k. Da treten überraschende Wirkungen zutage. Bei einigen Werten von k erhalten wir einen schönen Zielwert. Bei anderen Werten von k pendelt die Iteration zwischen zwei oder vier oder noch mehr verschiedenen Folgenwerten herum. Bei noch anderen wird es gänzlich unübersichtlich: das leibhaftige Chaos. Aber auch wenn man das k kontinuierlich anwachsen lässt, wechseln doch Ordnung und Chaos einander ab.

Feigenbaum-Diagramm

Von FEIGENBAUM stammt die Idee, die Folgenglieder gegenüber dem k aufzutragen. Da müsste dann über einigen k-Werten nur ein Punkt liegen, über anderen zwei oder mehr oder ganz viele - je nachdem, zwischen wie vielen Werten die Folgenglieder herumsausen. Man erhält auf diese Weise das FEIGENBAUM-Diagramm. Das sehen wir uns einmal an.

Für k-Werte zwischen 0 und 1 erhalten wir den Zielwert 0. Für k-Werte zwischen 1 und 3 erhalten wir immer noch einen einzigen, jetzt von 0 verschiedenen Zielwert. Zwischen 3 und 4 passiert's. Deswegen vergrößern wir einmal diesen Bereich.

Feigenbaum-Diagramme

Man erkennt, dass sich die Figur an bestimmten Stellen aufteilt, „Bifurkation” nennt man diese Erscheinung. Man erkennt ferner, dass sich in den Teilbereichen das Anfangsbild verkleinert wiederholt. Das bezeichnet man als „Selbstähnlichkeit”. Sie kommt häufig vor bei mathematisch erzeugtem Chaos. Wie ja überhaupt der Name „Chaos” zu Missverständnissen Anlass gibt: Die Werte sind, obwohl in ihrer Entwicklung nicht vorhersehbar, sehr wohl streng gesetzmäßig entstanden und deshalb von Willkür und Zufall frei. Deswegen spricht man hier vom „deterministischen Chaos”.

Darum herum rankt sich inzwischen eine umfangreiche mathematische Theorie.

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